Frühlingsbote

Wennfeld_Krokus

Ich liege quer auf dem Weg zum Haus. Ich fotografiere. Ein junger Mann kommt aus der Tür. Ich merke, dass ich auf dem Weg im Weg liege und stehe auf.

„Schöne Blume“, sagt der Mann. Vielleicht ist er einer der Bauarbeiter, die nach dem Auszug vor dem Abriss in die Häuser noch einquartiert werden. So wie bei meiner Nachbarin mit dem Besen. Sie arbeiten daran, dass die Gebäude auf der gegenüberliegenden Straße wachsen. Und sind froh nicht im Container wohnen zu müssen. Nehme ich an.

Auf dem Gehsteig unten bleibt der Nachbar stehen. Ich bin froh in heute mit nur einem Stock zu sehen. Neulich hatte er zwei und ich war besorgt.

„Schöne Blumen, schöne Frau“, er winkt dem Nachbarn zu, der oben aus dem Fenster schaut. „Sind alles meine“, ruft der zurück und meint die Blumen. Ich lache.

„Müssen Sie auch raus, oder?“ rufe ich fragend nach oben. „Wissen Sie schon wohin?“

„Die werden mich schon wohin tun.“ Er weist mit dem Kopf zu den einen oder anderen Häusern im Bau. „Sie müssen ja. Sie können mich ja nicht auf die Straße setzen.“

Er ist die Ruhe in Person. Im Gegensatz zu mir. Zuviel habe ich schon gehört. „Aber Sie wohnen doch schon so lange hier!“

Der Nachbar auf dem Gehweg zuckt mit den Schultern. „Die Vögel, die bleiben auch lange an einem Ort und dann fliegen sie weiter.“

Wir reden wir darüber, wie lange sie schon hier wohnen, die zwei Männer: der oben 33 Jahre, der unten 60. „Hanna, du bist erst hier seit drei Jahren und fragst sooo viel!“ Ich verstehe, dass ich unhöflich bin, denn ich bin zwar seit neun Jahren hier, aber viel fragen tuh ich trotzdem. Wir reden über’s alte Auto vom Obigen, dem Geschenk. Ein anderes Mal möchte ich ihm gerne erzählen, dass ich es „das Geschenk“ genannt habe, weil meine Tochter ihm diesen Namen gab, aber über die Straße rufen traue ich mich nicht. „Ich habe immer auf meine Sachen aufgepasst,“ sagt er. Wir reden über’s Tanzen und ich verspreche ihm, dass ich einen Tanz organisiere im Nachbarschafts-Kunsthaus, aber er muss es mir beibringen.

Der letzte Frühling im Wennfeld.

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Wennfeld_Besen

WennfelderGarten1_Besen

Die alte Frau links unten ist ausgezogen. Ich wusste nicht, dass sie eine Tochter hat. Zu der ist sie gezogen. Die Enkel haben mitgeholfen. Ich weiß jetzt, dass sie schlecht hört. Daher hat sie nicht viel geredet, sagte die Tochter. Sie war fröhlich gewesen in den letzten Wochen. Hat mir Blumentöpfe geschenkt – das geht auch ohne Worte. 

Mein Mietvertrag ist Ende September verlängert worden.

Mein Mietvertrag – die Mietverträge aller Bewohnenden der Häuser Wennfelder Garten 1 – 9 wurden Ende November gekündigt. Ende August 2020 – „hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ – müssen wir draußen sein. Besondere Härte, die einen Widerspruch rechtfertige, liege nicht vor.

Der Nachbar am Hang hinter mir packt seit Wochen seine Kisten. Vor ihm eingezogen waren seine Eltern. Mit ihm aus ziehen nach neunundfünfzig Jahren seine Frau, Tochter, Schwiegersohn und die Enkelkinder. Man wusste ja schon lange, dass das mal kommt, sagt die Tochter. In Tübingen haben sie trotzdem nichts gefunden.

Als ich am dunklen Januar-Abend nach Hause komme, scheint warmes Licht aus den Erdgeschoss-Fenstern. Heute sind neue Leute eingezogen in die Wohnung der alten Frau unten links.

Das Kündigungsschreiben teilt mir mit, dass die Abbrucharbeiten der 1955 erstellten Gebäude voraussichtlich im Oktober beginnen.

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Am Ende des Sommers

Am letzten Samstag der Sommerferien durchschlagen plötzlich vielfach Autotüren die Stille. Es beginnt am frühen Abend und geht durch die ganze Nacht bis zum nächsten Morgen. Kein stiller Sonntag, vielleicht der einzige im Jahr.

Hier, wohin es die Touristen nicht zieht, haben die Häuser die Sommerwochen verschlafen. Jetzt kehren ihre Bewohnenden zurück.

Es ruft von Balkon zu Balkon, begrüßt sich auf der Straße, bleibt schlendernd stehen, den Kofferraum geöffnet, ist der, ist sie schon wieder da und wo warst du? Jetzt geht es wieder los, wir haben noch ein paar Tage. Zum Glück.

Der schlagartige Übergang von Stille zu Fülle bringt Salz mit und Sonne auf der Haut und Steine und Sand und Muscheln, Gerüche und Gebäck, Wurst von irgendwoher, eine neue Melodie.

Wir sind wie neu gemacht, frisch gewaschen, sanft flatternd noch am Trocknen im leichten Sonnenwind bis der Alltag kommt.

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Wenn Felder und Garten…

Ganz oben, im Himmel, scheint der Kran die Baumspitze zu berühren. Ich wäre gern ein Vogel, um zu sehen, ob sie es wirklich tut. Ich hüpfte von den Nadeln auf den Kran und drehte eine Runde.

Die Bäume tun mich denken an Mammutbäume: uralte Sequoias, bis zu 3900 Jahre alt, bis zu 115 Meter hoch oder 17 Meter dick. Es wirkt, als wäre ihre Geschichte genauso alt, als kämen auch sie aus einer anderen Zeit. Als das Wennfeld noch Garten und grün war. In Wirklichkeit sind sie an die 60 Jahre alt. Für Manche war auch das ein Menschenleben, das sie begleitet haben, durch dick und dünn.

Ich möchte, dass sie bleiben. Soviel ist schon geschehen. Aus Versehen ist ein Bagger gegen den Stamm gefahren (eines anderen Baumes – trotz „Sicherheitszaun“). Oder ein Baum war krank. Oder… und plötzlich ist das Wennfeld nicht mehr Garten und nicht mehr grün. Die Fledermäuse sind verschwunden. Gesehen habe ich sie vor einiger Zeit bei den Gleisen – Sidler-Areal – bei den neuen Häusern. Da war ich glücklich. Sie stehlen uns die Mücken und wir freuen uns.

Als neulich die Birke gefällt wurde, war sie krank. Die Nachbarin hatte mit den Fällern vereinbart, dass sie das Holz bekommt. Einfach wäre es gewesen, es über den Zaun zu lupfen und die Mutter hätte was gehabt zum Heizen. Am nächsten Tag war es weg. Und niemand weiß von nichts. Du kannst doch fragen, dann bekommst es, aber einfach so?! So ist das Diebstahl.

Bist du schonmal unter der Tanne gestanden, der großen, von deren Spitze der Vogel auf den Kran springt? Da ist Stille.

Ob die zwei Birken noch erhalten bleiben, da sie nicht mehr dem 60ger Jahre Schönheitsideal „Dreier-Birkengruppe“ entsprechen? Auf dem Strunk sitz nun regelmäßig ein Mann. Er wartet mit seiner Plastiktüte bis sein Sohn ihn mit dem Auto den Berg hoch fährt. Ein Arbeiter von gegenüber genießt hier seine Zigarette. Wir können überall sitzen: auf der Treppe, die zum Haus hochführt gleich daneben, auf den Bänken an der Panzerhalle… Auf dem Strunk sitzen wir im grünen Gras unter Birken.

Hinter der Litfasssäule stand neulich die Milchkanne, frisch gefüllt mit Milch (- ich glaube, es ist seit über 20 Jahren dieselbe Blechkanne für mehrere Generationen Kuh…) Ich habe mich gewundert: die Kuh wohnt oben auf dem Berg und nicht hier unten. Zudem: ich habe sie lange nicht mehr hier vorbeilaufen sehen. Und hätte sie, wenn, ihre Milch einfach so abgestellt? Es wird schon alles richtig sein, dachte ich. Am nächsten Tag war die Kanne weg. Und niemand hat von nichts gewusst. 

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Mond

Wennfeld_Vollmond Januar2019

Einige diesige Kälte hing über der Stadt. Die Finsternis hatte sich versteckt. Der Blutmond, überall angekündigt, blieb verborgen. In der darauffolgenden Nacht – klarster Himmel mit fast vollem Mond. Zu hell zum Schlafen, aber ohne Finster und ohne Blut. Ich war trotzdem ‚rausgegangen in den Schnee. Montagmorgen, 5 Uhr. Ein paar Stapfen – Hund und Mensch waren vor mir dagewesen. Letzten Sommer bin ich denselben Weg gegangen. Und länger geblieben. Die Panzerstraße verbindet:

Ein kontinuierlicher Strom Menschen biegt ab, läuft hoch. Dämmerlicht.

Luft und Beton sind warm. Auf der Wiese, auf den Platten der Panzerstraße liegen, sitzen, stehen Leute. Um ihn zu sehen, am Himmel, den kleinen orangenen Mond. Verdeckt (teillweise) durch den großen Schatten der Erde

“Wie geht denn das jetzt, jetzt hab ich drei ISS auf einmal gesehen:”

“Du wolltest doch, dass dein Hund ins Tierheim kommt.”

“Hat jemand mal Feuer? Gibt’s hier echt keine Raucher mehr?”

Ich glaub’s ja nicht, da ist schon wieder die ISS.”

„Die Sonnenfinsternis damals, hast du die schon mitbekommen?“ „Ey, ich bin uralt.“ „Ich hab sie ganz kurz gesehen, dann kamen Wolken.“ „Ich glaube die Wolken waren Teil der Sonnenfinsternis. Es wurde plötzlich ganz kalt. Und dunkel. Es hat gewindet. Die Vögel haben aufgehört zu singen. Die Farben waren weg. Normalerweise gibt es in der Dämmerung noch immer irgendwelche Farben, aber da war einfach alles grau.“

„Was fliegt denn da oben?“ „Ich will’s gar nicht wissen.“

„Ich bin mal gefahren auf’m Highway, du das war irre, da war der Mond, der war riesig und der war genau am Ende der Highway, in der Mitte. Direkt vor mir, ich bin direkt auf diesen riesigen Mond zugefahren. Ich hatte keine Kamera dabei, damals leider, damals gab’s noch keine Smartphones.“ „Dein Gedächtnis hat das fotografiert.“ „Ja, das hat es. Wobei sich Erinnerungen auch verändern im Laufe der Zeit.“

„Jetzt kommen Wolken.“

„Da ist er wieder.“

„Das Flugzeug ist spektakulärer als der Mond.“

„Ich finde der Mond sieht aus wie eine Qualle. Da sind die Tentakel.“ „Oder so’n Männchen, Koboldmännchen.“ „Ich finde der Mond sieht aus wie der Mond.“

„Es gibt ja Leute, die reisen von Sonnenfinsternis zu Sonnenfinsternis.“ „Ob ich dem hinterher reisen würde?“ „Das hier werden wir auch nur einmal im Leben erleben.“

„Der Mond hat seine Tage.“ „Das hätte der sich mal früher überlegen können.“

„Ob die aus dem Flugzeug auch die Mondfinsternis sehen können?“ „Ich glaub, die sind zu hoch.“ „Was ich jedenfalls geil find beim Fliegen, dass du immer Sonne hast. Und wenn unten noch so scheiße Wetter ist, du fliegst durch die Wolken und hast immer Sonne. Da beneide ich die Piloten drum.“

„Was ist denn das jetzt?“

„Wow – das ist die Sonne, die scheint wieder auf den Mond! Das sieht ja abgefahren aus.“

„Oje, Wolken.“

„Es sieht aus wie ein Loch. Als wär da ein Loch ins Unendliche.“ „Man sieht nur noch das helle, wo die Sonne drauf scheint.“ „Es sieht aus wie ein Stern.“ „Jetzt sind überall Wolken. Die verderben uns das.“

Und dann ist er weg. Der kleine, orangene, wunderschöne Mond. Über der Panzerstrasse, über dem Wald. Der Beton der Straße ist warm. Die Luft auch.

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Wennfeld_Weihnchtslichter2018

Wennfeld_Weihnachtslichter 2018

Ich brauche keine Weihnachtsbeleuchtung. Ich mache das Licht aus in der Küche und schaue aus dem Fenster: vorbei fahrende Autos und Fahrräder werfen weiße Komet-Streifen auf Häuser und Straße.

Es leuchten die Straßenbaulichter, es leuchten die Kliniken auf dem Berg, es funkeln die Kliniklichter in allen Weihnachtsfarben – rot, grün und weiß -, manchmal Sterne darüber.

Seit Kurzem habe ich neue Nachbarn. Sie leben nur tagsüber mir genau gegenüber. Männer in Baucontainern, hinterm Laptop am Schreibtisch bei Neonlicht oder im Pullover draußen rauchend, während die Tür im Wind schlägt.

Die hohen Tannen wiegen sich und singen vom Wald und vom Meer. Die Baugrube ist verlassen für die Feiertage, der Regen füllt das Loch.

Die Kinder wünschten sich ein Schwimmbad. Das hatten sie dem Baubürgermeister geschrieben. Vielleicht spielt das Wetter ja mit?

Frohe Weihnachten und ein gutes Neues Jahr!

 

Schwimmbad im Wennfeld von Charly, 2015

 

Erstellt am von smitmans | Kommentare deaktiviert für Wennfeld_Weihnacht 2018

Abgeholzt: Wennfeld_Märchenwald

 

Wennfeld_Märchenwald

Wennfeld_Märchenwald

Hinter dem Wennfelder Garten und dem Französischen Viertel auf dem Weg zu den Härten gibt es einen Wald.

Die Panzerstraße hoch, am Hubschrauber-Landeplatz vorbei, links die Grillstellen, gab es rechts einen kleinen Weg, unmarkiert, ein Trampelpfad. Das war der Weg der Kuh – von der Wagenburg zu ihrem Arbeitsplatz als Ergotherapeutin.

Andersherum: die Straße Wennfelder Garten bis zum Ende laufen, vorbei an der Zeitwohnungsunterkunft, über den Rand des Staubeckens hoch, die Ergotherapie rechts liegen lassen, links in den Wald.

Da war der Märchenwald.

Der Boden weich federnd von Tannennadeln, Duft von Erde, Nadeln, Pilzfamilien, Wurzelwege, das Licht gedämpft, Betten aus Moos.

Ein kleines Stück Glück, perfekt, um mit den Kindergartenkindern des Janusz Korczak Kinderhauses in eine Landschaft einzutauchen, neue Welten zu erfinden ohne Straßenlärm, sich auf den Rücken zu legen und in den Himmel zu träumen. Kinder, die es nicht kennen, in den Wald zu gehen.

Jetzt ist es weg, dieses Glück. Abgeholzt, nicht einzelne Bäume, sondern eine große Fläche – platt. Ich frage mich, wo die Kuh nun läuft.

Ich möchte eine Erklärung!

Wer hat das Recht, uns, den Kindern, der Kuh, dem Moos, den Pilzen, Ameisen, Vögeln und Insekten diesen Wald zu nehmen? Wofür? Für ein paar Stühle? Für die Herstellung von Papier? Erkläre es mir, wer immer dafür verantwortlich ist. Ich weiß, wir brauchen Holz, ich bin nicht gegen Nutzwald – aber muss denn alles und überall genutzt werden? Ohne Rücksicht darauf, wie unbezahlbar ein winziges Stück Wald sein kann? Weil es einzigartig ist? Und darum Horizonte öffnet, was Wald für uns bedeutet?

Ich laufe seit 1991 durch diesen Wald, manchmal täglich. Früher Militärgelände, konnte er jahrelang ungestört wachsen, kleine, versteckte Märchenlandschaften bilden. Ein tägliches Bewusstsein, was Frieden bedeutet. Als Erholungsgebiet hatte er – trotz ständig immens wachsender Nachbarschaft – dieses Wunder erhalten. Bis die Säge kam.

Ich bringe es nicht über’s Herz, meinen Kindern davon zu erzählen. Sie werden weinen.

Wennfeld-Moos

Wennfeld-Moos

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Wennfeld Kapelle

 

Der Blaue Lein wächst. Die Nachbarin freut sich. Ich treffe sie zufällig, wie immer, sie dreht jeden Tag ihre Runden. Bevor und seitdem ihr Mann gestorben ist. Kurz nachdem sie in die neue, die neu gebaute Wohnung gezogen waren. Er war gestürzt, auf dem Weg zum Bäcker. Hatte auch nach wochenlangem Kampf das Bewusststein nicht wiedererlangt. Sie macht sich Vorwürfe. Sie hatte ihn zum Bäcker geschickt.

Aus einem gemeinsamen Kaffeetrinken ist bisher nichts geworden. „Sie müssen mich besuchen.“ „Ich muss kommen.“

„Schauen Sie, wie schön.“ „Was?“ „Hier stand mein Haus. Gucken Sie, es wächst.“ (Ich freue mich über ihre Freude.)

„Ich dachte, das war eine Maus.“ Ruft der Nachbar über’n Zaun. „Das kann kein Mensch gewesen sein, so eine krumme Linie. Jetzt weiß ich es besser.“

Da wo der Keller war von diesem unseren Haus wächst nur der Lein. In allen anderen Löchern und drumherum wächst Allesmögliche: Mohn, Disteln, Nachtkerzen, Wicken, Wegwarte, Senf, Nattern, Tomaten, … eine Sonnenblume. Dort wo sie schon stand im letzten Jahr.

Die Kapelle haben wir nicht gefunden, sagen die Archäolog*innen. Die haben sie wohl gut aufgeräumt. Das tut mir leid, sagt der Nachbar. Vielleicht war sie aus schlechtem Material. Es wäre doch schön, sagt er, sie würden einen Bischof finden. Dann würde die Kirche sagen, halthalt, ihr könnt nicht bauen.

Keramikscheiben aus dem 10. Jahrhundert. Das Mittelalter wird noch nicht lang erforscht. Das hat nicht interessiert. Es mussten schon die Römer sein. Jetzt ist es Gesetz. Einer vom Landratsamt stand neben dem Bagger beim Abriss. Der hat gesagt, so 50 Stellen gibt es hier. Da müssen sie graben. Stadt und Bauherren haben da keinen Einfluß. An den Erdverfärbungen kann man das erkennen. Manchmal ist es auch nur eine Wurzel. Manchmal Holz. Das kann Alles sein. Ein Stall… Wir graben wahrscheinlich noch ein paar Wochen. Fotografieren dürfen Sie nicht, das gehört dem Land. Nein, die Presse war noch nicht da.

Ich wünsche mir ein Bild, damit ich zurückreisen kann in der Zeit.

 

 

 

 

 

 

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Die Geschichte geht, …

 

Wennfeld_Brachland2018

Wennfeld_Brachland2018

Die Geschichte geht so:

Da war mal ein Mann, der hat gesessen und geweint und geweint. Eine Quelle ist entstanden und ein Brunnen wurde da gebaut. So ist es gewesen. Er hat gefunden, dass der Ort nicht gut war und ist weggegangen nach Mauretanien.

Die Geschichte geht so:

Damals gab es hier die Kaiser. Den Kaiser von Tübingen und den Kaiser von Reutlingen. Das waren kleine Länder (so groß wie zwei Hände). Naja, die haben gekämpft. Da gab es eine große Schlacht. Das war hier. Der Kaiser von Tübingen fällt. Der Kaiser hieß Wen. Wir haben dieses Buch gefunden bei Alex. Da steht alles drin. Deswegen sind wir gestern gesessen und haben diskutiert. Es war Wasser hier, eine Quelle. Dort hinten, wo der Beton ist, bei der Bushaltestelle. Sie haben hier für Wen eine Kapelle gebaut. Das war im 13. Jahrhundert. Das ist lange her. Inzwischen ist die Kapelle kaputt gegangen. Aber: wenn das ein heiliger Ort ist, dürfen sie nicht bauen. Die Kirche kann sagen, sie dürfen nicht bauen! Naja, die Stadt hat Geld. Die bauen auf Allem.

Die Geschichte geht so:

Wie lange kannst du noch bleiben, in deiner Wohnung? Im Wennfeld wird archäologisch gegraben. Ein griechischer Tempel? Cool. Das verzögert doch alles. Das ist gut für dich, oder, dann kannst du noch bleiben. Ich habe einen Onkel in Griechenland, der soll ne alte Vase rüberschicken, die vergraben wir da. Dann bauen sie noch Jahre nicht. So geht das in Griechenland, die ganze Zeit. Da wird ne Straße aufgegraben, die finden eine Scherbe und – bumm – können sie nicht bauen. Sie buddeln nur noch nächste Woche im Wennfeld. Da muss dein Onkel schnell sein. Hast du nichts bei dir zuhause rumstehen? Leider nicht.

Ich brauch den Wohnraum, sagt der Mann von der Stadt.

Sagst du, ich brauch ne Wohnung in Tübingen, sagt dein Gegenüber, haha.

Ich, ich brauche Brachland. Dass mein Blick frei schweifen kann über unbebautes Gelände wie übers Meer. Undurchverplant. Orte im Zwischenzustand. Der Fantasie freien Lauf lassen, zu Träumen, Ideen spinnen, was alles möglich wäre. Möglich ist. Gestaltend im Zusammenleben. Ich brauche Wohnraum. Ich kenn wenigstens fünf weitere, die den auch brauchen.

Und was haben sie jetzt dort gefunden?

 

 

 

 

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Archäologie im Wennfeld

Wennfeld_Archäologie2018

Wennfeld_Archäologie2018

 

Was geht, frage ich – und tatsächlich: im Wennfeld wird archäologisch gebuddelt. Eine Kapelle von vor hunderten Jahren. Bisher gefunden: ein paar Pfosten.

Jetzt ist das Geheimnis gelüftet von den Creatures out of Space. Und auch, warum nicht gebaut wird. Noch immer nicht, nachdem schon zum Jahreswechsel abgerissen wurde, und lange vorher.

Ich denke oft an den alten Nachbarn, Herr K., der mit seiner Frau zurückgegangen ist nach Griechenland, für immer. Wie sie wohl den Umzug überstanden haben? Ob die Tomaten wachsen, dort? Mehr als ein halbes Jahr hätten sie noch in der Nähe der Tochter sein können. Ein halbes Jahr kann lang sein am Lebensende. Es kann darüber bestimmen, in welcher Erde du ruhst. Wer kommt und gemeinsam deinen Tod betrauert.

Ich hoffe, dass sie was finden, die Archäolog*innen. Dass das Gefundene erforscht wird und nicht in den Archiven verstaubt, weil kein Geld da ist.

Warum wurde dort eine Kapelle gebaut? Wer hat sie besucht? Was waren die Sorgen der Menschen? Gab es drumrum Ackerbau, Felder? Wie sah das Leben damals aus? Tübingen?

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